Die noch vor knapp über 140 Jahren fotografierten Zisternen von Karthago geben einen relativ unversehrten Eindruck davon, wie diese Baukultur einst aussah … (Foto: unbekannter Künstler, Karthago, Antike Zisternen, ©Foto Kunstbibliothek, Staatl. Museen von Berlin, Link)
Ich muss ein wenig ausholen, ohne die Sache allerdings zu weit zu vertiefen. Vor ein paar Jahren stattete ich Karthago einen Kurzbesuch ab und schaute mir die Antoninus Pius Thermen an. Wie alle anderen Ausgrabungsorte in der nahen Umgebung steht man vor Resten alter Mauerwerke und staunt über Rundbögen und die obligatorischen römischen Säulen, nahezu sämtlich abgebrochen und in Einzelteilen überall verstreut herum liegen. Man fragt sich zwangsläufig, wie das Ganze wohl einmal intakt ausgesehen haben mag. Der Reflex ist allzu selbstverständlich … Mittlerweile frage ich mich allerdings auch, wie das Ganze wohl verschüttet wurde bzw. die Landschaft wohl aussah, als man die ersten Ausgrabungen unternahm.
Ufernah: Einzelne riesige "römische" Säulen prägen den Aufbau des ehemaligen Untergeschosses des angeblichen Badehauses der Römer. Für mich fallen sie optisch aus dem Rahmen. Liegt das nur an der gründlicheren Restauration ausgewählter Einzelteile?
Wie immer geht die Geschichte auf etwa Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, als man die wesentlichen ersten Ausgrabungen vornahm. Nach ersten Recherchen stelle ich fest, dass wir hier wenig bis gar keine Informationen darüber finden, wie der nicht ausgegrabene Zustand der Umgebung damals aussah. Vielleicht habe ich ja nicht gründlich genug recherchiert, aber es gibt nur wenige Skizzen geschweige denn Fotos zu den Ausgrabungsabschnitten etc.
Ich finde auch wenige Auskünfte darüber, wie man sich die komplett verschüttete Umgebung erklärt. Ist es selbstverständlich, dass hier alles zahlreiche Meter tief unter der Erdoberfläche lagen? OK, auf dem Bild sehen wir das Untergeschoss der "Thermen". Handelte es sich damals nicht vielleicht sogar um das Erdgeschoss?
Hier ein paar dürre Informationen aus Wikipedia:
"Der monumentale Komplex wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts identifiziert und 1901 unter Denkmalschutz gestellt. In der Nachkriegszeit, genauer gesagt zwischen 1944 und 1956, ließ Gilbert Charles-Picard die Ruinen beseitigen und Konsolidierungsarbeiten durch Maurice Pinard und Alexandre Lézine durchführen. Letzterer bedauerte zwar, dass sie unvollständig waren, veröffentlichte aber Zusammenfassungen seiner Notizen über die Architektur des Denkmals in den Jahren 1968 und 1969.
Im Rahmen der internationalen Kampagne der UNESCO von 1972-1992 schlägt Mohamed Fendri, Direktor für historische Denkmäler am National Institute of Archaeology and Art, vor, die Ruinen durch die Restaurierung von Säulen in ihrer Größe wiederherzustellen. 1972 führte der beratende Architekt der UNESCO, Jacques Vérité *), die entsprechenden Studien durch, während er die Nordtreppe zur Promenade, die ein notwendiger Bestandteil der Besichtigungen ist, sanierte. Unter der Leitung desselben Architekten arbeitet das Konservierungspersonal der Karthager Baustelle unter Kontrolle, manchmal unterstützt von tunesischen Teams, wobei die Arbeiten ab 1980 mit dem Zusammenbau einer Säule des nördlichen Palastes begonnen haben. Zwischen 1984 und 1986 folgte die Anastylose (Anmerkung: Wiederaufbau, Wiederherstellung) einer der Säulen des Frigidariums: Der Schaft dieser 12,50 Meter hohen Säule wiegt 60 Tonnen. Das Zelt (Kapitell) war etwa 1,80 Meter hoch und wog 8 Tonnen. Zwischen 1986 und 1988 vervollständigten eine Säule aus einem der Schwimmbäder des Frigidariums, eine "weiße" Säule und die horizontale Anastylose einer Säule aus dem südlichen Portikus des Frigidariums diese Erweiterungsarbeiten."
*) Dieser Jacques Vérité ist übrigens im Internet für mich ein "Geist". Keine Spur von ihm oder seiner Vitae zu finden. Mir ist das aufgefallen, da er so einen eigentümlichen Namen trägt ("Vérité" = Wahrheit). Hat es diesen Menschen wirklich gegeben … ? Er wird lediglich im Buch "L'archéologie en Tunisie (XIXe-XXe siècles): jeux généalogiques sur l'Antiquité" erwähnt.
Insgesamt macht mich hier etwas stutzig, dass dieser - wenngleich monumentalen Säule – soviel Aufmerksamkeit geschenkt wird und zahlreiche Ausgrabungen noch nicht vollzogen wurden (alleine aus meiner subjektiven Sicht).
Warum hier überhaupt so spät angefangen bzw. knapp 150 Jahre gewartet wurde, erschließt sich mir offen gestanden auch nicht so ganz. Der heute aufgeräumte Zustand der dort vorgefundenen "Trümmer" dürfte also auch ein Großteil an Phantasie bemüht haben – abgesehen davon, dass hier nur noch das Tiefparterre der wie auch immer konzipierten Baulichkeit vorhanden war.
Ein ganzes Stück weiter hangaufwärts finden sich weitere "Kellergeschosse". Auch hier sieht man deutlich, dass die Ausgrabungsarbeiten unterbrochen oder unvollständig beendet wurden.
Ich bin bei meinen Recherchen auf einen interessanten Beitrag gestoßen, der erstaunlicherweise von der University of Liverpool stammt und der möglichweise einen Hinweis auf die merkwürdigen Praktiken wirft. Dieser trägt den vielsagenden Titel: "Die Vergangenheit ausgraben und kontrollieren - Ideologie in der imperialen und kolonialen Archäologie entlarven" (übersetzt, von Prof. Bonnie Effros BA, MA, PhD, FRHistS). (Link des Originalbeitrags).
Er war es mir Wert, ihn übersetzt zu zitieren:
"Wir alle kennen den Mythos „Indiana Jones“, in dem junge (und attraktive) Archäologen exotische Landschaften auf der Suche nach verborgenen Schätzen erobern und erforschen und „böse Jungs“ besiegen, während sie kostbare Juwelen greifen oder alte Geheimnisse aufdecken. Diese Fantasiefilme haben das Publikum ermutigt, romantisch von archäologischen Abenteuern im Ausland zu träumen, ohne über deren Folgen nachzudenken. Tatsächlich sollen echte Archäologen wie Aurel Stein (1862-1943), Hiram Bingham (1875-1956) und Langdon Warner (1881-1955) als Vorbilder für Steven Spielbergs „Helden“ gedient haben. Doch so viel Spaß das Anschauen macht, diese Filme verbergen die hässlichen Realitäten der engen Verflechtung zwischen imperialem und kolonialem Krieg, Kapitalismus und Archäologie.
Im April dieses Jahres wird eine Sammlung von sechzehn Essays von mir und Guolong Lai herausgegeben ("Entlarvende Ideologie in der imperialen und kolonialen Archäologie: Wortschatz, Symbole, Vermächtnis"). Der Band wird nicht nur eine Diskussion über das Erbe archäologischer Entdecker an bekannteren Orten wie Karthago, Ägypten und Peru enthalten, sondern auch die Behauptungen der imperialen Mächte, archäologische Stätten in Australien, Nigeria, Sibirien und Uganda „entdeckt“ zu haben und den amerikanischen Südwesten oder das Welterbe vor Vernachlässigung oder Zerstörung unter indigener Herrschaft in China, Korea und Algerien „gerettet“ zu haben. Auch in Europa, wie unter dem Dritten Reich, waren diese Behauptungen zu oft Vorwände für die Ausweitung des politischen Einflusses und die Störung der Rechtsprechung von Zielländern und begehrten Gebieten. Es gibt einen Grund, warum Archäologen so oft den Ruf erlangten, Teil des Eroberungsprozesses zu sein, und die Einheimischen begannen, einige Archäologen wie den französischen Entdecker Victor Segalen (1878-1919) als "ausländische Teufel" zu bezeichnen, als sie intervenierten in archäologischen Stätten in China. Sie beschuldigten die kaiserlichen Ankömmlinge, das historische und kulturelle Erbe ihres Landes zerstört zu haben, und konnten sie in Ausnahmefällen auf jede erdenkliche Weise daran hindern, uralte Überreste zu untersuchen, zu zerstören oder auf andere Weise für Zwecke zu verwenden, die den örtlichen Interessen zuwiderlaufen.
Die Beiträge in diesem wichtigen Band zeigen, dass kaiserliche Armeen ebenso wie koloniale Autoritäten Landschaften plünderten, entstellten und auf andere Weise beanspruchten, die integrale Bestandteile der mündlichen Überlieferungen und Traditionen indigener Gemeinschaften waren. Im Falle Ägyptens nutzten sie auch die freie Handarbeit der lokalen Bevölkerung, um diese Ressourcen effektiv zu ihrem eigenen Vorteil zu extrahieren. Die Zerstörung archäologischer Stätten und die Entfernung ausgesuchter Artefakte aus ihren ursprünglichen Kontexten, um die Museen der Metropolen zu schmücken, sei es London, Berlin, Tokio, New York, Paris, Rom oder Liverpool, war allzu häufig das Verborgene ( oder nicht so versteckt) Preisschild sogenannter wissenschaftlicher archäologischer und ethnographischer Expeditionen. In eroberten Gebieten wie Algerien haben Offiziere und zivile Kolonisten Museen geschaffen, um wertvolle Artefakte in größerer Reichweite als Großstadtinstitutionen unterzubringen.
Ihre Ausstellungen richteten sich jedoch fast ausschließlich an die Siedler und nicht an die Ureinwohner. Die Erzählungen sollten den Neuankömmlingen das Gefühl vermitteln, zu ihrem neuen Land zu gehören und mit ihm verbunden zu sein. Dieser Aneignungsprozess führte häufig dazu, dass die tatsächliche Herkunft der fraglichen Artefakte häufig vergessen oder gelöscht wurde. Anstatt physische Überreste längst verlorener Zivilisationen vor der Zerstörung zu retten, waren diese einseitigen Erzählungen über die Entdeckung durch imperiale Agenten und Kolonisatoren ein wirksames Mittel, um Ansprüche auf Territorien geltend zu machen, beispielsweise durch die Behauptung einer direkten Abstammung von den antiken Gemeinschaften, die sie geschaffen hatten die monumentalen Stätten in Frage. Das Endergebnis imperialer und kolonialer archäologischer Aktivitäten war die Marginalisierung oder Auslöschung der lebendigen Erinnerungen, die die ansässige Bevölkerung mit den lokalen Überresten der Antike verbanden.
Solche missbräuchlichen Aktivitäten waren häufig dafür verantwortlich, dass die indigenen archäologischen Bemühungen in eroberungsbedrohten Regionen, ob Teile oder ehemalige Teile des Osmanischen Reiches, des China des frühen 20. Jahrhunderts oder Koreas unter japanischer Besatzung, in Gang gesetzt wurden. In nur seltenen Fällen wie im Iran war es den Einwohnern möglich, äußere Behauptungen über privilegiertes Wissen über die betreffenden Altertümer zu widerlegen und die imperiale Expansion einzuschränken.Die Pahlavi-Dynastie im Iran beispielsweise nutzte diese Rhetorik im Laufe des 20. Jahrhunderts effektiv. Im späten zwanzigsten Jahrhundert war der Trick jedoch so weit verbreitet, dass er effektiv dazu beitrug, den landesweiten Aufstand zu katalysieren, der 1979 zur Islamischen Revolution führte.
Der Band behauptet, dass es für Praktiker in den Disziplinen Anthropologie, Archäologie, Kunstgeschichte und Geschichte von Vorteil ist, die Ursprünge der Grundprinzipien, -praktiken, -methoden und -sammlungen, die in ihren heutigen Bereichen verwendet werden, kritisch zu hinterfragen. Es ist unerlässlich, ein tieferes Verständnis für das Erbe des imperialen und kolonialen Kontexts zu entwickeln, in dem sich diese Disziplinen entwickelt haben. Die Kenntnis dieser Vergangenheit ist von wesentlicher Bedeutung, um künftige archäologische Unternehmungen voranzutreiben, insbesondere wenn indigene Bevölkerungsgruppen weiterhin eng mit den betreffenden Stätten verbunden sind und von deren Interpretation unmittelbar betroffen sind."
Das will ich jetzt erst einmal so stehen lassen. Als Nicht-Archäologe schließe ich mich allerdings dieser vorsichtigen Behauptungen an.
Zum oben genannten Zitat des Professors gibt es auch ein interessantes Foto: Festival zur Feier des Märtyriums von Perpetua und Felicitas im Amphitheater von Karthago, 1903. Aus: Alfred Delattre's "Un pèlerinage aux ruines de Carthage et au Musée Lavigerie (1902). Jevain, Lyon." (übersetzt: Eine Wallfahrt zu den Ruinen von Karthago und dem Lavigerie-Museum (1902). Jevain, Lyon.).
Ich könnte mir gut vorstellen, dass dieses Amphitheater mindestens 7-10 Meter unter der Erdoberfläche lag. Findet hier das ewige Thema der sogenannten "Kulturschichten" wieder einmal ihren Ausgang? Oder gab es Kataklysmen, wie vermutlich in Ägypten, die man in diesem Zusammenhang lieber unerwähnt lassen möchte?
(Link Bildquelle)
Bevor es an die "offiziellen" Ausgrabungen gingen, wurde seitens der Bevölkerung mit oder ohne Auftrag kräftig geplündert und beiseite geschafft. Dr. Ridha Moumni, Institut de Recherche sur le Magreb Contemporain, schreibt dazu (Quelle):
"In Tunis wurden im 18. bis 19. Jahrhundert die ersten Antiquitätensammlungen eingerichtet. Europäische Konsuln, ausländische Gelehrte und internationale Händler erwarben die meisten der archäologischen Überreste, die dann in der antiken Stadt Karthago erhältlich waren. Ob aus dem persönlichen Geschmack, aus kommerziellen Erwägungen oder aus dem Wunsch nach kultureller Differenzierung heraus, sie bereicherten die Sammlungen der wichtigsten europäischen Museen. Diese Sammelpraxis beschränkte sich nicht nur auf Ausländer, sondern betraf auch die lokale herrschende Klasse. Die Minister und der Bey selbst bildeten reiche Sammlungen, von denen die berühmteste zu den wichtigsten tunesischen Familien des 19. Jahrhunderts gehörte. Als Ergebnis anhaltender Bemühungen waren diese Sammlungen über das Land hinaus bekannt und garantierten den Ruhm ihrer Besitzer auf transnationaler Ebene, wie bei der Weltausstellung 1855 und 1873. Die tunesische herrschende Klasse wurde sich schnell der Bedeutung ihres kulturellen Erbes bewusst, das früher ignoriert wurde und vor der französischen Kolonisation 1881 zu einem wichtigen Bezugspunkt der nationalen Identität wurde."
Nachstehend die nachträglich angefertigten Pläne der "wahrheitsbemühten" Archäologen des mittleren 20. Jhd. zu den Antoninus Pius Thermen:
Plan: Public Domain Lizenz ohne Angabe der Herkunft (Grundriss der Thermen mit französischer Beschriftung)
Ölgemälde von 1815; Dido Building Carthage aka The Rise of the Carthaginian Empire von J. M. W. Turner; Wikimedia Commons; Link
Aber war es wirklich so? Handelte es sich um schlichte Thermen bzw. ein großes Wellness-Center oder gar um eine Tempelanlage bzw. etwas völlig anderes?
Als man noch nichts wusste bzw. bevor man "glaubte zu wissen", klassifizierte man die Gegenden um Karthago in 5 "Trümmer"-Kategorien: Oberirdisch, unterirdisch, von geringer oder einiger Bedeutung bzw. über oder unter dem Wasserspiegel. Man darf hier vorsichtig annehmen, dass eine ganzheitliche Betrachtung 1919 noch nicht das große Interesse weckte – ich vermute eher eine Beschränkung auf die vergrabenen Wertsachen, auf die man sich konzentrieren wollte.
Quelle Plan: Wikipedia Commons; Excerpts from Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Band X, 2 - 1919; Raimund Oehler (1852-1935)
Was wissen wir über die Anfänge der Stadt? Jede Menge - oder glauben es zumindest, denn die punischen Kriege werden bzw. wurden ja im Geschichtsunterricht rauf und runter gebetet und wir wissen ja auch, dass Römer nach ihrem dritten Anlauf dort alles platt gemacht hat. Über Wikiwand lesen wir etwas über die Anfänge (Vorläufer): "Die Stadt entwickelte sich von einer phönizischen Kolonie zur Hauptstadt eines punischen Imperiums, das im ersten Jahrtausend v. Chr. weite Teile des südwestlichen Mittelmeers beherrschte.…Die legendäre Königin Dido gilt als Gründerin der Stadt, obwohl ihre Historizität in Frage gestellt wurde. Nach Berichten von Timäus von Tauromenium kaufte sie von einem lokalen Stamm die Menge an Land, die mit einem Rindsleder bedeckt werden konnte. Sie schnitt die Haut in Streifen, legte ihren Anspruch dar und gründete ein Reich, das durch die Punischen Kriege die einzige existenzielle Bedrohung für Rom bis zum Erscheinen der Vandalen einige Jahrhunderte später werden sollte."
Zu diesem Thema gibt es reichlich Mythen, die ich kaum vertiefen kann/möchte. Allerdings klingt das Ganze nach einem erfolgreichen "Matriarchat" (?), dem sicherlich einige Neider gegenüberstanden. Ihr vermeintlicher Selbstmord und ihre angeblichen Motive wurden ja auch bisher von einigen angezweifelt. Es scheint jedenfalls, dass die Phönizier vermutlich einen ausgeprägteren Trend zu weiblichen Gottheiten erkennen ließen. Vielleicht einer der Gründe, auch mal eine Königin zuzulassen?
Man datiert die Anfänge auf rd. 800-850 vor Christus, immerhin "fanden Forscher des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), des Institute National du Patrimoine in Tunis sowie der Universität Tübinger unter anderem Rinderknochen" (Quelle/Link), was für die Forschung offenbar ein hinreichender Beleg ist, um das Alter einer bislang nicht vollständig ausgegrabenen Stadt zu bestimmen.
Abb.: Holzschnitt mit Nürnberger Stadtansicht aus der Schedel’schen Weltchronik, Blatt 99v/100r; Wikimedia Commons; Link
Weniger römisch als vielmehr typisch mittelalterlich? Ich fand hier eine Darstellung von Karthago aus dem Jahre 1493 aus der Schedelschen Weltchronik, auch Nürnberger Chronik genannt. Da hier die übliche römische Ansicht nicht so leicht aus der Archtektur abzuleiten ist, oder bestenfalls nur sehr indirekt, wird diese Illustration als Phantasiedarstellung abgetan. Sich diese Seiten (> 500-700, je nach Sprache) einmal näher anzusehen, ist etwas kostspielig: Ein vollständiges Exemplar des Buches wurde 2010 für 850.000 Dollar versteigert. Möglicherweise nur ein Irrglauben der Nürnberger … vielleicht aber auch nicht?
Die Entwicklung der Stadt bzw. die Götterkultaktivitäten sollen ja nach Aussage der Römer himmelschreiend gewesen sein. So sprach man von Kinderopfern, die man Kathagern nachsagte. Das Ganze soll sich eben nicht auf Tiere oder Haare beschränkt haben, sondern auch auf Kriegsgefangene sowie Menschen aus der eigenen Bevölkerung. Darunter sollen eben auch Säuglingsopfer der Oberschicht gefallen sein, da sie den höchsten Wert gegenüber ihren aus meiner Sicht satanischen Gottheit Baal innehatten. Insbesondere bei der Belagerung der Stadt, als Wasser und Vorräte knapp wurden und in der Sommerhitze die Menschen keinen Ausweg wussten, hätten sie versucht, ihren blutrünstigen Gott durch derlei Opfer gnädig zu stimmen. Diodorus Siculus und Plutarch schwören u.a. auch darauf, dass es so gewesen sein soll. Der Haken daran: Es gibt dafür keinerlei Belege und alles deutet auf römische Propaganda hin.
Während Kindsmord und Kinderopfer bei Römern und Griechen gleichermaßen gängig waren, muss man hier bei der Betonung, die Kathager wären ein Volk der Gräuel, eher alarmiert sein. Ich empfehle hier die Analysten von Jeffrey Schwartz von der University of Pittsburgh, der als Anthropologe die Knochen aus 348 Urnen aus einem Kinderfriedhof der Stadt untersuchte. Kurzum: Es gab keinerlei Spuren von Gewalteinwirkung – dieser Friedhof ist eigens für "normale" Säuglinge eingerichtet worden (Quelle). Bislang zog man diesen Friedhof für Kinder (auch Tophet genannt) als Beweis dafür an, dass es sich hier um die Überreste der Opferungen handelte. Das wurde immerhin von einer wissenschaftlichen Seite deutlich in Frage gestellt. Meine Meinung dazu: Selbst wenn man hier zweifelsfrei Kindesopfer gefunden hätte, müsste man sich nachträglich fragen: Wer hat sie auf dem Gewissen? Sieger oder Besiegte.
Ausgrabungsort des "Tophet" im Jahre 1921. (Link Wikimedia Commons)
Die noch vor knapp über 140 Jahren fotografierten Zisternen von Karthago geben einen relativ unversehrten Eindruck davon, wie diese Baukultur einst aussah … (Foto: unbekannter Künstler, Karthago, Antike Zisternen, ©Foto Kunstbibliothek, Staatl. Museen von Berlin, Foto von 1875, Link)
Erstaunlich und nicht recht ins Bild passen wollen die Zisternen von La Mâalga, die ein Fassungsvermögen von 50-60.000 Kubikmeter haben und die Karthago in ursprünglich nicht so recht bekannter Form "versorgten". Jede Zisterne besteht aus einem gewölbten Raum mit einer Länge von 102 m, einer Breite von 7,4 m und einer Höhe von 7 m (ohne Gewölbe). Der Komplex gleicht regelrecht Katakomben.
Die Zisternen von Karthago, aus: Le Tour Du Monde, Nouveau Journal des Voyages édition: 1893 publié sous la direction de M. Edouard Charton (Wikimedia Commons, Link)
Diese Bebauungen sollen aus dem ersten Jahrhundert stammen und haben ihren Zweck auch dann noch erfüllt, als die Römer später erst (!!) das entsprechende Aquädukt dazu bauten. Bis dahin jedoch hätten die Bewohner wohl kaum diese Behälter mit Regenwasser füllen können. Mit 51 Millionen Liter Fassungsvermögen ist es bis heute das größte bekannte Reservoir der Antike und niemand weiss, was die ersten Stadtbewohner wirklich damit angestellt haben. Es darf auch stark bezweifelt werden, dass die Römer diese selbst gebaut haben (meine Meinung).
Vor dem Hintergrund des Belagerungszustands durch die Römer äußerte sich Flaubert in seinem vielzitierten Roman "Salambo": "Hamilkar hatte sie (die Bevölkerung) rasch beruhigt, indem er erklärte, daß in den Zisternen Wasser für hundertdreiundzwanzig Tage vorhanden sei."
Aus "A History of Rome to the death of Cæsar"; Author: HOW, Walter Wybergh - and LEIGH (Henry Devenish)
London, Date of Publishing: 1896 (Quelle Flickr)
Offenbar war die Zisterne von Bordj Djedid für die Versorgung der gigantischen Badeanstalt Antoninus Pius zuständig: Sie besteht aus 18 parallelen tonnenförmigen Becken und fasste etwa 25–30 Mio. Liter (also etwas kleiner als die von La Mâalga). Ihr Baudatum ist nicht bekannt, allerdings sind Umbauten im Zusammenhang mit dem Bau der Antoniusthermen nachgewiesen. Die Zisterne befindet sich heute im Areal des Präsidentenpalasts und ist nicht öffentlich zugänglich. Während das spätere Aquädukt mit einer Gesamtlänge von 132 km durch Vandalen später zerstört und immer wieder repariert werden musste, blieben die beiden Zisternen an beiden Standorten halbwegs intakt. Wiederholt geflickt waren sie sogar noch bis ins 19. Jahrhundert in Betrieb.
Foto: Alte Postkarte des Frontzugangs der Zisternen (Wikimedia, Quelle); man erkennt, dass diese Röhren lange Zeit auch als Wohnräume genutzt wurden.
Nachstehend: Die Katakomben von La Mâalga; (Wikimedia, Link, Links)
Man räumt seitens der Wissenschaft ein, dass die Versorgung bzw. Logistik des Wassers mit den Reservoirs und der sog. Antoninus Pius Thermen noch nicht hinreichend erforscht ist.
Hier die Darstellung einer Zistern in einem punischen Haus von Karthago. Das Ganze sieht auch schon sehr fortschrittlich aus.
Foto: damian entwistle, via flickr (Für das Original und die Quelle klick auf das Bild)
Möglicherweise ist es nicht entscheidend, ob des die Phönizier oder die Römer sind, die für diese Technik verantwortlich waren. Kritisch erscheint es hingegen, wenn hierfür jemand völlig anderes verantwortlich war – was mich nicht wundern würde. Vermutlich ist hier noch reichlich Forschungs- und Aufklärungsarbeit notwendig, um Licht in das Dunkel der überragenen Ingenieurskunst zu bringen.