© spurensucher -17.12.2019

Gut durchgespült – Sarkophage im Fluss

 

Lycian_sarcophagus_in_simena_-_panoramio_webIn jedem Fall gut durchgespült: Lykischer Sarkophag in Simena; Wikimedia Common (Quelle)

 

Was heute Türkei ist, bestand in der Antike aus einzelnen Gebieten, die später als Kleinasien zusammengefasst wurden. Lykien war eines davon. Zu den Besonderheiten des Landstrichs im Südwesten gehörten die eigentümlichen Ortspaare, die zusammen ein Siedlungsmuster bildeten, aber trotzdem zahlreiche Kilometer auseinander lagen. Grob ausgedrückt ein Ortsname mit einer Bezeichnung am Mittelmeer, ein anderer Ortsname in den Bergen - dennoch gehörten sie irgendwie zusammen. Das Ganze funktionierte offenbar nicht nach dem Muster „Denneville plage“ und „Denneville bourg“, wie die Franzosen es häufig praktizieren, sondern mit unterschiedlichen Begriffen und extrem weit auseinander gelegen. Bei den Franzosen trennen die Meeressiedlungen und gleichnamigen Ortsbezeichnungen nur wenige Kilometer. Ganz anders in Lykien. Hier herrschte Durcheinander und Zerrissenheit – nicht nur was die Ortsbezirke anbelangte.

 

Lycian_sarcophagus_in_simena_-_panoramio_webAndere Ansicht des oberen Sarkophages mit brachialer Öffnung für Schatzsucher; Wikimedia Commons; Quelle

 

Der Ursprung der Lykier geht vermutlich auf die Hethiter zurück. Die Lehrmeinung verortet ihre Herkunft auf Kreta, was allerdings nur auf Spekulationen beruht. Die Rolle der Frauen muss weitaus bedeutender gewesen sein als in anderen Gebieten. Die Namen der Frauen wurden über Generationen weiter vererbt, sie nahmen offenbar auch gehobenere Positionen ein. Wer weiss, vielleicht gab es damals sogar ein Matriarchat.

 

LyKische_Sarkophage_MYRA

Überall in freier Wildbahn verstreut: Lykische Sarkophage in Myra (heute Demre). Ein kolossaler Sarkophag in Cacamo in Karamania. MAYER, Luigi, 1803; Aikaterini Laskaridis Foundation Library (Quelle)

 
Nicht nur außerhalb der Stadtmauern einzelner Ortschaften von Lykien, sondern auch innerhalb derselben befinden sich teilweise willkürlich verstreute Sarkophage mit imposanten Reliefs sowie mitunter recht imposante hausähnliche Einheiten mit Dächern, Türen und Giebeln (man nennt sie auch Grabhäuser), die aussehen wie steinerne Stromkästen oder Versorgungseinrichtungen, wenngleich aufwändiger gestaltet. Den Forschern ist über die vielen Jahrzehnte hinweg aufgefallen, dass die Grenzen zwischen Siedlung und Nekropolen verschwimmen oder besser: verschwammen – zumindest was ihre topografische Lage anbelangt. Die Forscher Benndorf und Niemann erwähnten bereits 1884, dass sich diese Einrichtungen “über das Land zerstreut, zuweilen viele Stunden weit von dem Ort entfernt, dem sie zugehören, wo eben die Erbauer zufällig Grund und Boden besaßen“ befinden.

 

Lykisches Grab aus XanthusSieht aus wie gestrandet: Lykisches Grab aus Xanthus mit Chimärenrelief. Illustration von 1847; FELLOWS, Charles, Sir – Quelle

Darunter: Nicaea, Gesamtansicht der Stadt; 1838; The Gennadius Library - The American School of Classical Studies at Athens – Quelle

 

Nicaea_Gesamtansicht der Stadt

Sie finden sich in Sümpfen, an Asphaltstraßen, in Wohnsiedlungen oder Gemüsefeldern, manchmal jedoch auch einfach mitten irgendwo im Wald. 

 
Mit der Platzierung der Gräber nahm man es also offenbar nicht so genau – zumindest aus heutiger Sicht. Innerhalb des griechischen Kulturraumes fällt dieser Sonderstatus doch ein wenig auf. Neben diesen aufwändigen „Felskisten“ gibt es allerdings noch andere vermeintliche Grabstätten, nämlich Tumuli und Felsengräber. Die sogenannten Felsgräber von Myra sind international berühmt und tragen genauso hartnäckig ihren "Grabstatus" wie die Felsgravuren von Mada'in Salih oder Petra (Jordanien), was mich immer wieder zum Schmunzeln anregt. Aber auf Myra möchte ich im Zusammenhang von Lykien nicht eingehen, sondern eher auf die verstreuten Sarkophage und "Grabhäuser". Genausowenig möchte ich hier auf die aus meiner Sicht fragwürdige Klassifizierung der Turmreste von Patara eingehen, die schlichtweg als Leuchtturm gedeutet wurden. Ich habe ja nichts gegen Ideen, aber sie klingen aus der Wissenschaft teilweise reproduktiv und immer so "bastaesk" … ;-) 

 

Sarkophag_Andriake

Höhere Konstruktionen wirken statischer, aber nicht weniger verstreut: Lykische Sarkophage in Andriake (heute Çayağzı), dem Hafen der alten Myra (heute Demre), 1803, MAYER, Luigi – Quelle; Aikaterini Laskaridis Foundation Library

 

Was die Ausführung und Lokalisierung der Grabstätten anbelangt, wirkt alles recht unkonventionell und willkürlich (zumindest deren Lokalisierung), falls wir es hier wirklich mit Ruhestätten im verblichenen Sinne zu tun haben sollten.

 

Ich kann persönlich anhand meiner Quellendurchsichten nicht feststellen, ob jemals Überreste von Verstorbenen an diesen Stellen gefunden wurden und würde unter Umständen auch daran zweifeln. Dennoch wird in regelmäßiger Selbstverständlichkeit von Grabhäusern und Nekropolen gesprochen.

 

Sarkophag_XantosXanthos, Lykisches Säulengrab - Quelle – Universität von Bologna - Quelle


In der Regel handelt es sich bei den vermeintlichen Grabhäusern um bestehende monolithischen Strukturen, mitunter mit Inschriften. Vielleicht lassen diese ja zweifelsfrei Rückschlüsse auf die ursprüngliche Verwendung zu. Da sich die Grabhäuser den traditionellen Wohnbauten geähnelt haben sollen, wird hier vermutet, dass die steinerne „Reproduktion“ klassischer Holzhäuser die Unvergänglichkeit des Materials und somit auch die Unsterblichkeit der Toten wiederspiegeln soll. Gleiches gelte für die Sarkophage.

 

Lykischer_Sarkophag_CastleRossoDie seltsame Struktur wirkt schon fast mehrstöckig; Kolossaler lykischer Sarkophag in der Nähe von Schloss Rosso; 1803; Aikaterini Laskaridis Foundation Library


In der Dissertationsschrift von Lore Mühlbauer (11/2001)  „Lykische Grabarchitektur – Vom Holz zum Stein“ heisst es:

Die Steckverbindung lykischer Grabarchitektur berührt auch die Dauerhaftigkeit der Gebäude: Zum einen können verwitterte oder beschädigte Bauteile relativ leicht ausgebessert und ergänzt werden, vor allem wenn die Gesamtkonstruktion aus kleinteiligen Baugliedern zusammengesetzt ist. Zum anderen ermöglicht die Mobilität, die beweglichen, mit Steckverbindungen errichteten Gebäuden (…) innewohnt, diese gleich Zelten auf- und abzubauen. Der Aspekt der Verformbarkeit “weicher” Verbindungen und die daraus folgende Elastizität der Gesamtkonstruktion bei leichten Bewegungen kann als konstruktive Konsequenz auf die Lage in einem Erdbebengebiet gedeutet werden (…).“

 

Was für eine Mühe man also dafür aufgewendet hat, eine Grabstelle zu sichern. Erst die monolithische Bearbeitung, dann noch die Erdbebentauglichkeit mit Hilfe von flexibleren Bauteilen? Das scheinen sie gebraucht zu haben, denn sicherlich sie allerhand durchgemacht !

 

Tlos_Lykische_SarkophageSarkophage in Tlos; Wikimedia Commons; Quelle

 

Sei's drum, als wären diese Fundstätten nicht mysteriös genug, erlaube ich mir die Frage: Fanden gegebenenfalls kataklystische Ereignisse statt, die man lieber erst gar nicht diskutieren möchte? Die Universität Tübingen hat in Patara jahrelang Feldforschung betrieben hat, um den lykischen Bauernalltag zu rekonstruieren. Dabei untersuchte man beispielsweise ein Gelände von rund 110 Quadratkilometern und fand dabei mehr als 3.000 Siedlungsreste. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie dicht besiedelt die Gegend insgesamt einmal gewesen sein muss, als alles dem Erdboden gleich gemacht wurde. Waren es also verfeindete Kulturen, die das kriegerisch angerichtet hatten oder ein Naturereignis?

 

supplementary-subjects-of-palmyra-a-large-pile-of-overturned-sarcophagi-web

Wo gab es so etwas schon mal? Ja, beispielsweise in Palmyra in Syrien – sogar vor der IS; Ein großer Haufen umgestürzter "Sarkophage". Ca. 1930. Public Domain; Quelle Quelle (Library of congress)

 

Immerhin lässt man offen, was es mit der Zerstörung des ominösen "Leuchtturm" von Patara auf sich hat, den man 2003 bei Ausgrabungen entdeckte. Der Turm sei möglicherweise durch einen Tsunami zerstört worden. Was wird es wohl mit sämtlichen Siedlungen auf sich gehabt haben, die jetzt unter der Erde liegen und die man ebenfalls peu-à-peu ausgräbt? Es könnte ja sein, dass eine gigantische Flutwelle dafür gesorgt hat, dass die Sarkophage überall verstreut wurden und sich die eher statischen Siedlungsstrukturen unter der Erde befinden. Ja, ich weiss … "Kulturschichten" könnten es ja auch sein. Aber Ideen dürfen ja bekanntlich erlaubt sein, vielleicht sind sie ja auch nicht so weit hergeholt.

 

1280px-Roman_Sarcophagus,_Seleucia_PieriaDieser soll römischen Ursprungs sein und liegt östlich von Lykien: Sarkophag am Hang der antiken Stadt Seleukia Pieria; Wikimedia, Quelle

 

Wie immer kann auch dieses umfangreiche Thema Lykiens hier nur ganz leicht an der Oberfläche angekratzt werden. Ich empfehle hier den Buchtitel Asia Minor Reprise von Wolfgang Filser (Herausgeber, Mitwirkende), Richard Reisen (Herausgeber), Ruprecht Schleyer (Autor) mit einem reichhaltigen Bildreservoir an fotografischen Abbildungen des 19. Jahrhunderts in genauer Gegenüberstellung mit den perspektivisch identischen Aufnahmen der einzelnen Monolithen (Sarkophage, Felsreliefs, "Grab"häuser etc.) des 3. Jahrtausends. 

 

Sarkophag_in_Kas

Lykischer Sarkophag aus Kas; Sjoehest; Wikimedia Commons; Quelle