© Spurensucher - 07.05.2020

Märchenhaft: Die Eisburg von Leadville

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Leadville – Panorama showing ice block castle, Attributed to W.H. Jackson, Copyrighted by W.H. Jackson & Co. Phot., Denver, Colo. Detroit Publishing Company Collection. Public-Domain Bildquelle

 

Es gibt immer wieder interessante Spuren der Vergangenheit, die zum Nachdenken anregen. So zum Beispiel der unwirklich märchenhafte Eispalast oder treffender benannt "Die Eisburg von Leadville". 

 

Am 25. November 1895 begann ein Team von 250 Mann, die Tag und Nacht daran arbeiteten, eine Burg aus Eis im normannischen Stil zu errichten. Um es vorwegzunehmen: Das Projekt gelang. Innerhalb von unglaublichen 36 Tagen wurden 5.000 Tonnen Eis verarbeitet und ein monströses Werk in dieser Form geschaffen.

 

Deutsche Postkarte des Winterkarneval-Eispalastes von Leadville; Wikimedia Commons; Bildquelle

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Hintergrund: Die Stadt Leadville in Colorado (USA) beabsichtigte die Durchführung einer sogenannten "Kristall"-Winter-Karnevalsveranstaltung vom 1. - 28.3.1896. Man versprach sich dadurch das Ankurbeln der ortsansässigen Wirtschaft und des Toursimus, da die vom Bergbauboom verwöhnte Stadt mit einer rückläufigen Silberproduktion zu kämpfen hatte. Die Bevölkerung schrumpfte von fast 40.000 in den Boomjahren auf nur noch 15.000 bis zum Jahre 1895.

 

Bestenfalls ein kleines Kaff mit nur wenigen Einwohnern. Erstaunlich, dass ein solches Projekt überhaupt ermöglicht werden konnte. Bildquelle Library of Congress; Bildlink

 

Leadville

 

Vor dem Hintergrund dieses Winterkarnevalsfestes erhoffte man sich also, die Misere in den Griff zu bekommen. Nach mehreren Finanzierungsanläufen und dem Rückenwind ortsansässiger Banker und Minenbetreiber erfolgte der Startschuss und man wurde wie bereits erwähnt innerhalb von NUR 36 Tagen fertig.

 

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Pompös und in Turbogeschwindigkeit zusannegebaut. Das Eis kam aus mindestens 85 Meilen Entfernung. Bildquelle: Denver Library

 

Die Eisburg war am Ende 137 Meter lang und fast 100 Meter breit. Die Eismauern sollen damals 1,50 Meter dick gewesen sein. Man bediente sich lediglich einer Art Holzkonstruktion, um das Eis sprichwörtlich unter Dach und Fach zu bekommen. Das Eis wurde von der Leadville Ice Company geliefert, die riesige Blöcke aus ihren eigenen Teichen nördlich der Stadt sowie aus Evergreen Lakes in der Nähe der Leadville National Fish Hatchery und aus Palmer Lake an der Front Range schnitt. Von Pferden gezogene Schlitten trugen riesige Eisblöcke nach Leadville, wo kanadische Eisschneider sie für den Bau formten. Während die Arbeiter die Eisblöcke in Wände stapelten, besprühten sie die Wände mit Wasser, das gefroren war und wie Mörtel wirkte, um die einzelnen Blöcke zusammenzuhalten. Echt jetzt?

 

Aber: Wie gestaltete sich das Ganze logistisch? Nun, das Ganze klingt relativ grotesk: Bedient man sich des Kartenmaterials, sieht man, dass die Evergreen Lakes 85 Meilen und Palmer Lake 147 Meilen entfernt liegen. Soweit entfernt will man also die Blöcke auf Schlitten gezogen herangekarrt haben. Wir reden hier von 1895. Erscheint das realistisch? In meinen Augen jedenfalls nicht.

Jemand schrieb in einem Kommentar: "Diese Stadt ist der höchste Punkt für eine Stadt in den USA. Pferd und Karren transportierten das gesamte Material. Es gibt keine Möglichkeit, dass dies in diesem Zeitrahmen geschehen ist oder errichtet wurde. … Ich habe nach Bildern von der tatsächlichen Konstruktion gesucht und keine gefunden. Man sagt, es sei eine Attraktion gewesen, um den Tourismus in der Stadt anzukurbeln, aber wie viele Menschen reisten in den späten 1800er Jahren durch das Land. Das ist einfach seltsam."

 

OK, wie ging es dann weiter? Ungewöhnlich warmes Wetter machte zunächst eine Weihnachtseröffnung unmöglich. Leadville liegt auf einer Höhe von immerhin 3.094 Metern, was aber angeblich nicht half. Der teilweise fertiggestellte Eispalast musste mit einer riesigen Leinwand bedeckt werden, um ein Schmelzen zu verhindern. 

 

Technisch realistisch oder eher eine fabrizierte Geschichte?

 

Wie sah es innen aus? Die Eisburg erhielt einen Ballsaal, eine 16.000 Quadratmeter-Eisbahn (elektrische Beleuchtung innerhalb der Eissäulen), eine Eisstockbahn, ein Restaurant (innerhalb eines der Ballsäle), beheizte Ballsäle, Spielzimmer, ein Theater, Rodelbahnen und ein Karussellhaus. Am Haupteingang stand eine Eisskulpturenstatue der „Lady Leadville“, wobei ihr Arm nach Osten zum Bergbaubezirk zeigte und der andere Arm eine Schriftrolle mit einer Goldbeschriftung und der Zahl 200 Millionen US-Dollar trug - was den Wert aller Metalle darstellen sollte, die die Minen von Leadville bis zu diesem Zeitpunkt produziert hatten.

 

 Ein warmer Herbst hatte den Bau des Eispalastes verzögert, ein früher Frühling beschleunigte seinen Untergang. Die Sommertemperaturen begannen bereits Mitte März. Bald wurde klar, dass der Palast nicht von Dauer sein würde, am 28. März 1896 begrüßte er seine letzten Besucher. Die Eisbahn blieb bis Mai in Betrieb, während die Eiswände allmählich schmolzen.

 

 

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Typische Westernstadtkulisse: So sah Leadville 1880 aus; sollte es also technisch unter diesen Umständen etwa kein Problem gewesen sein, so etwas wie den Eispalast als Burg in 36 Tagen zu bauen? Bildquelle Wikimedia Commons

 

Was für ein Aufwand für ein kleines Kaff mit damals nur zwischen 10-12.000 Einwohnern? Was wird uns hier für eine Geschichte angeboten? Ich fasse mal die Rätsel zusammen:

 

  • Logistik: Die Frage bleibt bestehen – Wie will man hier das Eis aus dieser Entfernung herangeschafft haben?
  • Zeitungsausschnitten aus der damaligen Zeit zufolge war die Eislaufbahn mit 5.000 qm und über tausend farbigen Lichtern sowie vier Suchscheinwerfern offenbar ein technisches Highlight. Wie hat dieses hinterwäldlerische Dorf das bewältigt?
  • Zeitungsausschnitten aus der damaligen Zeit zufolge wurden Blumen, Fotografien, Mineralien, Früchte und eine "Fülle seltener Kuriositäten, die unmöglich im Detail beschrieben werden können", in künstlichen Eisblöcken eingefroren und in die Innenwände eingearbeitet. Die Details haben es also in sich. Was mich dann noch zu der Frage bringt:
  • Wie hat man das in unter 36 Tagen bewerkstelligt?
  • Es gab wohl noch einen kleineren Eispalast, den so genannten Palast der Illusionen, der "lebende Bilder" künstlerisch dargestellt und mit hohem Tonfall versehen hatte. Eine andere Anlage hatte ein dampfbetriebenes Karussell.
  • Es gab offenbar noch einen kleineren Eispalast, den so genannten Palast der Illusionen, der "lebende Bilder" künstlerisch darstellte und mit hohem Klang untermalt hatte. Eine andere Anlage nutzte man sogar ein dampfbetriebenes Karussell.
  • Man hat in dieser Gegend über den gesamten Zeitraum angeblich 250.000 Besucher in diesem Eispalast versorgt.

 

Ich glaube zwar persönlich an die Existenz des Eisburg, jedoch nicht an die gesamte Geschichte drum herum. Möge sich jeder selbst seinen eigenen Reim drauf machen.