© Spurensucher - 13. Mai 2019

Tiefergelegt: Torbögen unter Stadtmuseum

 

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Das Städtchen Freiberg ist nicht nur äußerst idyllisch, sondern auch fast 1.000 Jahre alt. Die Gebäude blieben von den Weltkriegen offenbar weitestgehend unversehrt.

 

Ein kurzer beruflicher Auftenhalt in der Nähe gestattete mir den Besuch der mittelsächsischen "Bergstadt" Freiberg. Sobald wir es mit bergbaulicher Tätigkeit oder Rohstofflagerstätten zu tun haben, spricht die Wissenschaft von "Bergstadt". Nahe der Universitäts- und Silberstadt bzw. nur wenige 100 Meter von der Altstadt entfernt befindet sich der Silberbergwerkszugang 'Reiche Zeche'. Die Stadt selbst ist von einem knapp 30 km großen unterirdischen Stollengebiet durchzogen. Das Streckennetz soll etwa 2.000 km umfassen. Über 8.000 Tonnen Silber hat man bis heute dort geschürft. Deshalb der Titel "Silberstadt" – man spricht von einer der größten Silberbergbaugebiete Europas. Besucher erhalten hier auf Wunsch unterirdische Führungen, allerdings gemessen an dieser riesigen Fläche in nur äußerst eingeschränktem Umfang. 

 

Bei meinem Streifzug durch die sehenswerte Altstadt passierte ich auch das Domgelände mit nebenstehenden großen Bauwerken, darunter auch dem Stadt- und Bergbaumuseum. Um diese Uhrzeit hatte es  bereits geschlossen und sollte auch anderntags nicht vor 10 Uhr öffnen, was mir leider zeitlich nicht passte. Dennoch sah ich zahlreiche Baustellen rund um eines dieser Gebäude, das später nach meinen Recherchen als Gebäude "Am Dom 1" bezeichnet wird. Bei einer der Gebäudeseiten des offensichtlich alten Bauwerks kam es wohl zu Ausschachtungen und ich sah unterhalb der Straßenkante in einer Tiefe von ca. 4 Metern einen Bagger, der offenbar an der Freilegung des Fundaments rund ums Gebäude beteiligt war. 

 

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Hier das gesamte Zwischenstück zwischen "Am Dom 1" und "Am Dom 2", das den Raum für einen Neubau bietet. Für das Neubaufundament hat man das Erdreich entfernt. 

 

Mir fiel aus dem Augenwinkel heraus sofort auf, dass hier Altertümliches zum Vorschein kommt, was optisch in keinster Weise mit der Fassade des darüberliegenden Gebäudes übereinstimmt. Außerdem fiel mir auf, dass ich kein Schild fand, das darauf hinwies, dass es sich hier um eine archäologische Ausgrabungsstätte handeln könnte. Stattdessen konnte man erkennen, dass eine Tür unterhalb eines Fensters zur Hälfte unter der Erdoberfläche gelegen haben muss und dass sich ca. 1,00 Meter bis 1,50 Meter darunter 2 nebeneinanderstehende Torbögen im Erdreich befanden. Der linke davon wurde offenbar bereits mit Zement verfüllt, der rechte hat das Ganze wohl noch vor sich. Nach einem Kellerzugang sehen mir die beiden Riesenlöcher jedenfalls nicht aus. Auf der ebenfalls ausgeschachteten gegenüberliegenden Seite "Am Dom 2" gab es kein Pendant zum Gebäude "Am Dom 1", was mich darauf schließen lässt, dass es sich nicht um unterirdische Verbindungstunnel zwischen zwei Gebäuden gehandelt haben kann. Zumindest gab es dafür weder Anschlüsse noch irgendwelche weiteren Anzeichen.

 

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Das abgetragene Erdreich bringt interessante Gebäudestrukturen zutage, auf die sich zumindest öffentlich wohl niemand einen Reim machen möchte.

 

Ich fand es jedenfalls etwas seltsam, dass hier keine Hinweisschilder auftauchten, um Klarheit zu schaffen, was da vor sich geht.

Nicht einmal, was es mit der Ausschachtung generell auf sich hat. Zuhause recherchierte ich dann ein wenig:

Das Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg – so lernen wir aus Wikipedia – steht am Ort des ehemaligen Domherrenhofs, einem spätgotischen Profanbau. In einem Heimatblog las ich: "… das Museumsgebäude gehörte zum Komplex der Domherrenhäuser, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts erbaut wurden und nach der Reformation die städtische Lateinschule beherbergten. Diese Einrichtung entwickelte sich zum Gymnasium, das dann bis 1875 in diesen altehrwürdigen Häusern seinen Sitz hatte. Heute sind die Gebäude dem Stadt-und Bergbaumuseum zur Nutzung zugeordnet."

 

2002 hieß es, dass man bei Renovierungsarbeiten sehr alte Hölzer im Dachstuhl fand. Dendrochronologische Untersuchungen sollen ergeben haben, dass die Bäume im Jahr 1488 geschlagen wurden. Der Dachstuhl sei somit der älteste erhaltene Dachstuhl in Sachsen. Das passt offenbar ganz gut, da das Gebäude mit der Bezeichnung "Am Dom 1" auch urkundlich mit dem Bau in dieser Zeit überein stimmt.

2002 hieß es weiterhin: "Das Fundament eines eckigen Turmes hatte eine runde Form. Genau erklären kann das heute niemand mehr, man nimmt aber an, dass sich hier anstelle des Turmes früher ein anderer Gebäudeteil befand. Diesem Fundament wurde nun eine Betonschale vorgeblendet."

Das Ursprungsgebäude müsste ohnehin weitaus älter sein, da 1484 angeblich ein Brand im Gebäude stattfand, der zum Wiederaufbau desselben führte. Dieser Hinweis machte mich jedenfalls stutzig.

 

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Womit haben wir es hier also zu tun? Ehemalige Zugänge zum Silberstollensystem? Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Dafür hätte man sicherlich nicht so hohe Durchgänge gewählt. Und dann auch gleich 2 parallel laufende? Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, dass wir es hier möglicherweise mit etwas anderem zu tun haben. Zahlreiche Gebäude – davon fand ich auf Anhieb auch ein paar auf meinem Rückweg zum Hotel – verfügen über ebenerdige Rundbögenzugänge zu Innenhöfen. Aber hier liegt der Schwerpunkt eben auf "Innenhöfen" und nicht "Innenkellern". Kann es also sein, dass sich dieser Gebäudeabschnitt einst einmal ein Stockwerk höher befunden hat oder – andersrum gesagt: das heutige Erdreich damals bei der Grundsteinlegung in der heutigen Höhe nicht vorhanden war? Stellt sich nun die Frage, sofern an dieser Theorie etwas dran ist: Hat man absichtlich das damalige Erdgeschoss vergraben oder kam es hier zu einer Erdüberschwemmung (Stichwort: Mudflood)? Wie kommt es, dass man hier Schaulustige auf Abstand hält und auch sonst nirgendwo Erklärungen darüber angeboten werden?

 

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Der moderne Glasaufzug wurde abgestützt, rechts oben sieht man deutlich die Oberkante des vormaligen Erdreiches bis zum Putz. Die halbe Tür hinter dem Gerüst war vermutlich über eine Stufe nach unten zugänglich.

 

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Der linke Torbogen wurde bereits mit Beton verfüllt, vermutlich um die Stabilität des Gebäudes zu erhalten.

 

 

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Der rechte Rundbogen wurde noch nicht mit Beton verfüllt. Wohin führt er?

 

Ich für meinen Teil wäre sehr interessiert daran, die alten Gebäude in den Kellerbereichen einmal von innen zu untersuchen, um zu sehen, ob hier eventuell noch zugemauerte Fenster zu finden sind. Das ist immer ein untrügliches Indiz dafür, dass in solchen Fällen möglicherweise kataklystische Ereignisse stattgefunden haben, weil vielleicht einst das Erdgeschoss von Erdmassen verschüttet wurde. Nach den üblichen "Kulturschichten", die Archäologen gerne mal ohne nähere Erklärung anführen, sieht mir das Ganze nicht aus. Ich möchte allerdings auch nicht ausschließen, dass hier doch Verbindungen zum zitierten Stollensystem bestanden. Aber warum wird hier keine nähere Erklärung angeboten? Außerdem haben die Stollen eine Tiefe von 150 Metern, selbst wenn sie unterhalb des Stadtgebietes verlaufen. Außerdem hätte es sich um senkrechte Schächte handeln müssen. Dagegen spricht vor allem, dass das Gebäude ohnehin älter ist als die erste urkundliche Erwähnung der "Himmelfahrt-Fundgrube" (1715) … Chronik. Überflutungen der "Freiberger Mulde" konnte ich nur für die Jahre 1897 und 2013 recherchieren.

 

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Gebäudeunterführungen mit Rundbögen sind in Freiberg keine Ausnahme. Wäre also der Bereich des freigelegten Rundbogens auf der Baustelle einmal das Erdgeschoss gewesen, hätte man für diese Gebäudestruktur möglicherweise eine Erklärung.

 

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Das Stadtbild prägen stellenweise auch tiefgelegte Fensterabschnitte, wie hier an der Petrikirche.

 

Im gleichen Ortsteil, der auffällig hoch gelegen ist, befinden sich noch weitere Fensterabschnitte von Wohngebäuden, die nur knapp oberhalb der Straßenoberfläche liegen. Beim Bau der jeweiligen Gebäude befand sich die Straße sicherlich auf einem weitaus niedrigeren Niveau. Wie kam es also zu den Aufschüttungen? Falls Ihr dazu nähere Hinweise habt, freue ich mich über Eure Nachricht.

 

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Die neue Leiterin des Stadt- und Bergbaumuseums hat sich zumindest nach meinen Recherchen dazu in der Presse nicht geäußert. Zwischen den ausgeschachteten Domgebäuden 1+2 soll jedenfalls ein Neubau entstehen (Lückenschluss). Eine Würdigung der freigelegten älteren Bausubstanz: Fehlanzeige! Wenn man bedenkt, mit welcher Akribie man sonst in solchen Fällen das Erdreich abträgt und untersucht… Hier jedenfalls möchte man wohl lediglich eine neue Eingangssituation schaffen, eben eine rein bauliche Maßnahme (Quelle). Im Amtsblatt der Stadt Freiberg heisst es, dass die sogenannte silberne Pforte dort errichtet werden soll. Dabei handelt es sich wohl um einen ultramodernen Metallbau, der in seiner Planungsansicht von weitem wie ein hineingepresstes Sektengebäude aussieht und dem romantisch-altertümlich Stadtbild in etwa so entspricht wie Brandruinen in Villengegenden (Quelle PDF Seite 4 mit Planansicht). Aber das ist offenbar Geschmackssache der Stadtväter …