© Spurensucher - 25.04.2021

Perforierter Schädel im Reliquienschrein

 

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Was hat ein Schädel in einer Monstranz zu suchen, habe ich mich gefragt, als ich das Ding gesehen habe. Voller Stolz präsentiert man ihn uns im Schaufenster des Reliquienschreins der Basilika Saint-Gervais in Avranches. Er soll der Legende nach der des Bischofs Aubert gewesen sein, der unter der Herrschaft von König Childebert III. (695-711) Oberhaupt des Avranchiner Episkopats war. 


Aubert träumte dreimal von einem Erzengel, der ihm befahl, ihm ein Heiligtum auf dem Gipfel des Berges Tombe (heute ist es der weltweit bekannte Mt. Saint Michel) zu weihen. Der Mann zögert aus Angst, Spielball einer Illusion des Bösen zu sein, wird aber durch die dritte Erscheinung des Erzengels am Ende „überzeugt“. Der Erzengel hält dem Bischof eine Predigt und wiederholt den Befehl des Himmels; dieses Mal buchstäblich „eindringlich“: Sein Engelsfinger verabreicht dem Klerikalen eine tiefe Narbe auf dem Kopf und ein Loch auf der rechten Rückseite seines Schädels. Nach dieser dritten Erscheinung zögerte Saint Aubert nicht länger und machte sich an die Arbeit. Offenbar geistig gut durchlüftet …

 

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Die Legende zum Bau des Mont Saint-Michel:

 

Aubert schlief auf seinen beiden Ohren in einem Bett,

Als der Heilige Michael in seinen Träumen kam und zu ihm sprach:

"Baut mir einen Tempel auf dem Mont Tombe.

Und zwar schnell! Morgen! Gleich morgens als Erstes!

 

Am Morgen dachte Aubert, es sei ein alter Albtraum,

...denn es war schwierig, auf diesem Tümpel zu bauen.

Der Bösewicht hat wohl nichts Gutes im Schilde geführt,

Keine Möglichkeit zu gehorchen, um ihm das Genick zu brechen!

 

In der dritten Nacht hörte Aubert zu:

Der Finger des Heiligen Michael hatte seine Zweifel beseitigt.

Es war Zeit für ihn, seine biblische Pflicht zu erfüllen!

 

Aubert baute und der Berg wuchs wie eine Blume,

Der Abt widersetzte sich sogar dieser schrecklichen Arbeit.

Sein durchbohrter Schädel ist heute eine heilige Reliquie.


Irgendein Ammenmärchen hat die Kirche ja immer zu bieten, der Exhibitionismus sterblicher Überreste genießt dabei schon mal oberste Priorität. Da dieses Relikt nicht in irgendeinem unterirdischen Kellergewölbe aufbewahrt wird, sondern dort im “Schatzraum“ gleich als erstes zu sehen ist, setzt man offenbar gerne auf morbide Anziehungskräfte – nicht zuletzt, um damit auch den Klingelbeutel gleich mit füllen zu lassen.


Mit der Zeit gab es einige „Loch“untersuchungen, die angeblich via Kohlenstoff-14-Datierung (Kohlenstoff 14 ist als Substanz bis zu 5.000 Jahre nachweisbar) bestätigten, dass das Alter des Schädels von Saint Aubert, dem mutmaßlichen Gründer der Abtei von Mont-Saint-Michel, seinem Lebenszeitraum entsprach. Der „festgestellte“ Datierungszeitraum liegt zwischen 662 und 770, was schon eine wenig konkrete Angabe ist. Allerdings ist noch völlig unklar, wie das Loch da rein kam und ob der Schädel damit automatisch diesem Bischof zugewiesen werden kann. Von Epidermoidzyste (eine Zyste, die sich durch Knochen frisst) bis Trepanieren (mittelalterliches Bohren) wurde die Lochentstehung bisher allen möglichen Mutmaßungen unterzogen.

 

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Naja, irgendwer/-was ist wohl für das Loch im Kopf sowie den Erstbau auf der Insel („Grabhügel“ Mt. Tombe - ursprüngliche Bezeichnung des Mt. St. Michel) verantwortlich. Ob beides irgendeinen Zusammenhang hat, ist äußerst fraglich und klingt vor allem nach einer vortrefflichen Geschichte, die die Kirche wahrscheinlich irgendwann einmal in Umlauf brachte. Das Loch muss ja bereits im 8. Jahrhundert bei Pilgern für mächtig Furore gesorgt haben, die dann in Scharen dorthin strömten. Alleine schon, weil sie an das Märchen mit der göttlichen Wunde glaubten. Was liegt dann näher, als zusätzlich zu fabulieren, der gute Aubert hätte dienlichst den Grundstein für das später gigantische Monument erschaffen. Hätte er das mit bloßen Händen alleine bewerkstelligen sollen, hätte man es der Kirche sicherlich damals auch abgekauft (wenn auch vorerst nur als Sanktuarium).